Ein Neuseeländer träumt den amerikanischen Traum - "Mit Herz und Hand" von Roger Donaldson

Manchmal verläßt man das Kino als anderer Mensch - das ist ein Glücksfall. Manchmal jedoch kann es genauso beglücken, wenn ein Film haargenau zu der Stimmung passt, mit der man hineingegangen ist. Dies war hier der Fall und daher muss zuerst über das "Davor" berichtet werden.

Etwas abgehetzt und abgespannt erreiche ich das Kino. Ich bin von einem eisigen Wind durchgekühlt und eine kalte Cola ist jetzt das letzte, was ich mir wünsche. "Haben Sie auch warme Getränke?", frage ich mit suchendem Blick auf die Anzeigetafel. "Leider nein", antwortet der Kinobesitzer, "aber im Café neben an können Sie welche mitnehmen, jetzt laufen sowieso erst 20 Minuten Werbung und Vorschauen." Sehr nett, denke ich mir, stecke mein Billet ein und suche das Café auf. Ein Mann steht vor mir an der Theke, er hat erkennbar einen Großeinkauf vor und bespricht in einer Mischung aus gebrochenem Deutsch und ebensolchem Englisch mit dem Verkäufer den Konflikt zwischen der Vorliebe für allerlei Sorten süßes Gebäck und dem Kampf gegen das Übergewicht. Ich stelle mich auf Warten ein und bin angenehm überrascht, als er mich sofort vorlässt. Irgendwie finde ich seine Pfadfinderweisheit, wie einfach es ist, anderen Menschen einen Gefallen zu tun und wie viel besser die Welt als ganze wäre, wenn jeder das täte - "Sometimes it's so easy" - sehr sympathisch. Von so viel Freundlichkeit eingelullt und mit einer heißen Schokolade im Bauch mache ich es mir auf meinem Sitz bequem.
Der Film über einen Mann, der den Geschwindigkeitsrekord gebrochen hat beginnt mit einer aufreizend langsamen Fahrt über eine Motorradverkleidung, Werkzeug und Regale, vollgestopft mit ausrangierten Kolben und Ersatzteilen: "Offerings to the God of Speed". Irgendwann findet die Kamera Burt Munro (Anthony Hopkins), der hier schläft und noch im Traum gibt es für ihn nur Rennstrecken. Burt lebt nicht nur für seine Maschine, sondern mit ihr. Seine Werkstatt ist sein Zuhause und sobald er aufwacht, existiert nichts anderes für ihn, als die Aufgabe, seine alte Indian, Baujahr 1920, noch schneller zu machen.
Mit wahren Geschichten ist es so eine Sache: man weiß wie's ausgeht. In diesem Fall ist es die Geschichte des Motorradfreaks Burt Munro (1899 - 1978) aus Invercargill, Neuseeland und seinem Traum, mit seiner Maschine an der Speed Week in Bonneville, Utah teilzunehmen. Auf der harten, trockenen, weiten Salzpiste will er herausfinden, wie schnell die Indian tatsächlich fährt, denn auf dem weichen neuseeländischen Sandstrand lässt sich nun mal kein Geschwindigkeitsrekord aufstellen.
Der Film erzählt also, wie Burt Munro das schafft. Ein Road Movie, in dem es keine Überraschungen gibt, in dem der Protagonist keine Erfahrungen macht, die ihn verändern, in dem nicht der Weg das Ziel ist und in dem sich am Ende nicht herausstellt, dass das wahre Glück ganz wo anders liegt. Der Reisende verlässt einen Ort, an dem ihn die Nachbarn mit seinen Schrullen respektieren und macht eine lange Reise durch ein fernes, unbekanntes Land. Dort begegnet er anderen Exzentrikern, die ihm helfen, seinen Traum zu verwirklichen.
Das klingt langweilig und auf eine Weise ist es das auch. Der Film kommt so behäbig daher wie sein Held im Rentenalter mit angina pectoris. Beide bewegen sich langsam aber stur auf ihr Ziel zu und sparen nicht mit Altherren-Weisheiten. Die vollkommene Einheit von Form und Inhalt.
Trotzdem ist "Mit Herz und Hand" ein schöner Film. Er ist versessen auf Details, er ist voller Figuren, denen man ihr Leben ansieht, ohne es auszubreiten, er verweigert sich ästhetisch dem Geschwindigkeitsrausch.
Die Reise von der Westküste ins Landesinnere der USA ist eine einzige Freakshow: Ein schwarzer Transvestit, der in einem Stundenhotel an der Rezeption arbeitet (Chris Williams), ein ibero-amerikanischer Gebrauchtwarenhändler (Paul Rodriguez), ein Indianer mit Prostataproblemen (Saginaw Grant), eine alte Witwe mit starker Libido (Diane Ladd) und natürlich die Geschwindigkeitsfanatiker in der Wüste von Utah. Roger Donaldson gelingt es, dieses Panoptikum nicht als Ansammlung von Klischees zu präsentieren. Jede Figur ist eine Station, eine Begegnung mit einem Teil der USA. So vervollständigt sich Meile für Meile das Bild vom amerikanischen Traum: Hier kann es jeder schaffen, hier kann jeder seinen Wunsch Wirklichkeit werden lassen und alle arbeiten auf ihre Weise mit, dass dies auch mit Burt Munros Traum geschieht.
Mag sein, dass an einem anderen Tag dieser Film bei mir unter Kitschverdacht geraten und sein Hymne auf amerikanische Werte und gute Menschen hoffnungslos durchgefallen wäre, aber an diesem Tag hat er so gut getan wie heiße Schokolade - und etwas zu süß war er auch.
G.M.

Mit Herz und Hand (The World´s Fastest Indian) (2005) 128 min.
Regie: Roger Donaldson
Buch: Roger Donaldson
Kamera: David Gribble

User Status

Du bist nicht angemeldet.

Aktuelle Beiträge

Beobachtung der Beobachter...
Bis zum 29. Juli 2007 war in Berlin eine Ausstellung...
schauplatz - 7. Jul, 17:05
Nicht legendentauglich:...
„Wenn die Legende zur Wahrheit wird, druck die Legende.“...
schauplatz - 25. Feb, 14:49
danke für die links.
ich bin kein JBK-fan. gestern stolperte ich per zufall...
Side Affects - 10. Okt, 12:10
Eva allein bei JBK
Eva Herman hat sich gestern bei JBK um Kopf und Kragen...
schauplatz - 10. Okt, 11:19
Ein Neuseeländer träumt...
Manchmal verläßt man das Kino als anderer Mensch -...
schauplatz - 1. Nov, 19:27

Links

Suche

 

Status

Online seit 6750 Tagen
Zuletzt aktualisiert: 7. Jul, 17:05

Credits


Profil
Abmelden
Weblog abonnieren