Nicht legendentauglich: "The Flags of Our Fathers" von Clint Eastwood

„Wenn die Legende zur Wahrheit wird, druck die Legende.“ (aus: „Der Mann, der Liberty Valance erschoß“). Die Legende macht Helden und lässt Geschichte erträglich werden. Die Wahrheit ist nicht nur als Story unattraktiv, sie haftet an den Menschen wie Kaugummi im Profil der Schuhe. Die Legende ist in wenigen Sätzen erzählt, die Wahrheit muss meistens umständlicher rekonstruiert werden und vor allem hat sie weder Anfang, noch Höhepunkt, noch ein Ende.
Die Behauptung, dass ein Bild den Krieg entscheiden könne – gleich ob es die angeblich kriegsmüde amerikanische Gesellschaft dazu bringt, die entscheidenden neuen Anleihen für den 2. Weltkrieg zu zeichnen oder ob es in der Öffentlichkeit der USA einen Druck erzeugt, der die Beendung des 2. Irakkrieges erzwingt – ist wohl ebenso eine Legende. Und sie wird in Rezensionen von Eastwoods Film gerne wiederholt.
Dies sind Notizen der Eindrücke, die ich aus dem Film mitgenommen habe:
Die Rahmenhandlung: Der Sohn von John „Doc“ Bradley (Ryan Phillipe) recherchiert die Geschichte seines Vaters. Das erinnert an die „Brücken über den Fluß“ (1995). Kinder stöbern in der Vergangenheit ihrer Eltern und erkennen, wer ihre Eltern „wirklich“ waren. Ein Unterton von Wehmut und Verlust begleitet diese Indiskretion, ein Bedauern, sie nicht richtig gewürdigt zu haben. Irgendwie hat das den Beigeschmack von der Rache der Alten: Ihre nervige Weisheit: „Ehre das Mutterherz so lange es schlägt, denn wenn es zerbrochen, ist es zu spät.“ erhält posthum Bestätigung.
Komposition der Geschichte: Die Rekonstruktion der Entstehung des Fotos in Rückblenden hat nicht nur erzählerischen Sinn. Sie komplettieren die Geschichte der Schlacht und der Aufrichtung der Fahne und sie fügen Detail an Detail – damit erhält die Erzählung den Recherchecharakter der Rahmenhandlung. Quälend lange sehen wir dem Schlachten zu. Die Eroberung von Iwo Jima dauerte 35 Tage, für die Soldaten hörte die Schlacht niemals auf. Die Rückblenden verlebendigen das Schreckliche im Heute der Menschen, die den Krieg überlebt haben, sie leben mit ihm weiter.
Die Szenen der Schlacht: Grausam sind die beiden Szenen, in denen amerikanische Soldaten Opfer der eigenen Kriegsmaschinerie werden. Schon zu Beginn, als das Ziel der Eroberung noch nicht einmal zu sehen ist, fällt ein Soldat vom Schiff und der gesamte Schiffsverband fährt an ihm vorbei. Natürlich, wegen eines Mannes über Bord kann kein ganzer Kampfverband angehalten werden. Das Grauen steigert sich langsam. Zunächst spult sich das gesamte Filmwissen ab und erwartet werden Haie, die den Mann zerreißen oder die Schiffschraube, die ihn zerhäckselt. Aber nichts dergleichen passiert. Ruhig ziehen die Schiffe an ihm vorüber und so langsam, wie die Matrosen ihren Kameraden im Wasser wegtreiben sehen, dämmert es auch dem Zuschauer, dass noch nicht einmal der Versuch gemacht werden wird, ihn zu retten.
Die zweite Szene zeigt, wie belanglos der einzelnen Soldat ist und wie unmöglich, so etwas wie Menschenwürde im Krieg zu bewahren. Die toten Soldaten am Strand von Iwo Jima treiben im Wasser, das Meer schwemmt die Körper über den Sand hinauf und zieht sie wie Tang wieder zurück. Hinter der ersten Sturmtruppe der Soldaten rollen die Panzer an Land. Sie kurven nicht um die Toten herum, sondern fahren den direkten Weg den Strand hinauf. Man sieht zu, wie ein Leichnam unter die Panzerketten gerät, zerdrückt und in den nassen Sand gepresst wird. Ein Nichts. Das Unmenschliche ist nicht allein der Kampf oder das Töten, die Begleitumstände des Kämpfens oder Tötens erlauben nichts anderes.
Der Feind ist unsichtbar. Die Japaner haben sich in unterirdischen Gängen eingebuddelt und schießen aus der Tarnung heraus. Ahnungslos stolpern ihnen die GIs ins Maschinengewehrfeuer. In den wenigen Begegnungen mit den japanischen Soldaten entladen sich alle Angst, Furcht, Verzweiflung und Hilflosigkeit. Der GI sticht wie ein Wahnsinniger auf den schon toten Japaner ein. Sein Kamerad blickt ihn an und erkennt ihn nicht mehr oder er erkennt im anderen sich selbst, den er nicht mehr kennt. Der Schrecken zu sehen, was aus uns geworden ist. Der Schrecken, die Unkontrollierbarkeit nicht nur von außen, sondern auch von innen zu erfahren.
Der abgesprengte, abgerissenen, abgeschnitten Kopf im Helm – kein Vergleich zu dem vorherigen Horror. Einfach nur ein Zitat, Wiederholung eines altbekannten Motivs, in Horror- und Kriegsfilmen nur allzu gern verwendet. Der Verweis auf die Filmgeschichte, die aufdringliche Intertextualität ist fast ärgerlich.
Die Figur von René Gagnons (Jesse Bradford) Freundin, ist wunderbar unsympathisch gezeichnet und von Melanie Lynskey hervorragend gespielt. Sie ist das Mädchen, das gerne mit einem Popstar zusammen sein möchte, das den Glamour und die Blitzlichter liebt. Nun ist ihr Freund ein Kriegsheld und ein Empfang beim Gouverneur steht auf dem Programm. Da stirbt dummerweise Präsident Roosevelt und das Fest wird abgesagt. Die Enttäuschung, die sich in ihrem Gesicht ausbreitet ist sehenswert: Der Trotz eines Mädchens, das sich auf seinen Abschlussball gefreut hat und nun wegen des Todes irgendeiner entfernten Tante ihr neues Kleid nicht vorführen kann. Da kann man nicht nur die Enttäuschung, sondern auch den Zorn auf den Toten verstehen. Eine Wut die sich nicht geziemt, die man verbergen muss, was sie noch vergrößert. Später zerstört sie in ihrer Sehnsucht, im Rampenlicht zu stehen, wahrgenommen und bewundert zu werden, die anrührende Begegnung ihres Freundes mit der Mutter eines gefallenen Kameraden. Wie sie sich da vordrängt und der trauernden Mutter ihr eigenes Glück vorführt, ist eine Gefühllosigkeit, die durch ihre Unbekümmertheit noch verschlimmert wird. Und doch ist auch sie eine tragische Figur. Der Mann, den sie heiratet, ist nur als Kriegsheld ein Star. Nach dem Krieg rutscht er wieder in die Bedeutungslosigkeit der einfachen Mittelschicht, aus der sie sich wegträumen wollte.
G.M.

"The Flags of Our Fathers" (2006) 131 min.
Regie: Clint Eastwood
Buch: William Broyles jr., Paul Haggis
Kamera: Tom Stern

User Status

Du bist nicht angemeldet.

Aktuelle Beiträge

Beobachtung der Beobachter...
Bis zum 29. Juli 2007 war in Berlin eine Ausstellung...
schauplatz - 7. Jul, 17:05
Nicht legendentauglich:...
„Wenn die Legende zur Wahrheit wird, druck die Legende.“...
schauplatz - 25. Feb, 14:49
danke für die links.
ich bin kein JBK-fan. gestern stolperte ich per zufall...
Side Affects - 10. Okt, 12:10
Eva allein bei JBK
Eva Herman hat sich gestern bei JBK um Kopf und Kragen...
schauplatz - 10. Okt, 11:19
Ein Neuseeländer träumt...
Manchmal verläßt man das Kino als anderer Mensch -...
schauplatz - 1. Nov, 19:27

Links

Suche

 

Status

Online seit 6751 Tagen
Zuletzt aktualisiert: 7. Jul, 17:05

Credits


Profil
Abmelden
Weblog abonnieren