Beobachtung der Beobachter - Gustav Seibt gruselt's vor den Fernsehkindern
Bis zum 29. Juli 2007 war in Berlin eine Ausstellung von Wolfram Hahn zu sehen, die Gustav Seibt in der Süddeutschen Zeitung am 5. Juni besprach: Kinder wurden vor den Fernseher gesetzt und beim Glotzen fotografiert.
Die drei Bilder, die in der SZ abgedruckt sind, zeigen jeweils Brustbilder eines Buben oder eines Mädchens vor einer grauen Wand. Der Blick der Kinder ist nach vorne unten gerichtet. Das Licht kommt diffus von rechts, erhellt die rechte obere Seite des Hintergrundes und schattiert ihn bis links unten in allen Graustufen ab. Die Gesichter der Kinder sind nicht vom Standort des Fernseher aus beleuchtet, sondern von eben diesem linksseitigen Licht. Sie sitzen wohl auf einem Hocker oder Schemel, denn es ist keine Lehne eines Stuhls oder eines Sofas zu sehen.
Die Behauptung der Ausstellung und des dazugehörigen Kataloges folgt den Thesen Neil Postmans, dass Fernsehen verblödet, den Geist okkupiert, passiv macht und das gesamte persönliche und gesellschaftliche Leben mit einer Unterhaltungserwartung kontaminiert.
Selbst wenn man, wie Seibt, diese Meinung teilt, ändert das nichts daran, dass die Bilder eigentlich etwas anderes zeigen. Nämlich wie ein Erwachsener die Kinder beim Fernsehen sieht. Es ist nicht so, dass die Kleinen "aus der Sicht des Fernseher" fotografiert sind, sondern aus der Sicht des Fotografen, der hinter der Glotze sein Stativ aufgebaut hat: also leicht von oben. Nicht das Medium blickt zurück, sondern der voreingenommene Beobachter schaut auf sein Objekt und nimmt eine Stellung ein, die sein Urteil nur bestätigen kann.
Seibt sorgt sich, welche "Saat" das Fernsehen in die sich noch entwickelnden Hirne sät, spekuliert über vertane Lebenszeit, ist irritiert von der "Stille, die in Hahns Bildern liegt" und gruselt sich vor dem "Antlitz der Zeit", das einen nicht anschaut. Natürlich wird der Betrachter von den Kindern nicht angesehen, denn sie blicken nicht in die Kamera, sondern auf den Bildschirm. Aber auch der Fotograf und mit ihm der Betrachter schauen sie nicht an, sondern auf sie. Und "Stille" liegt über jeder Fotografie, umso mehr sie einen Menschen zeigt, der allein ist und auf etwas anderes konzentriert.
Seibt zeigt sich befremdet von "körperlich erstarrter Zusammengefallenheit, hängender Gesichtsmimik und gebanntem, nichts erwiderndem Blick". Erneut muss man an die Fiktionalität, die Gemachtheit der Bilder erinnern: Von der Sitzgelegenheit, über den grauen Hintergrund, den nach unten gerichteten Blick (offenbar steht der Fernseher auf dem Boden, auf jeden Fall nicht in Augenhöhe), bis hin zum Wesentlichen: dem Programm, das den Jungen und Mädchen gezeigt wird - das alles ist sorgfältig ausgewählt.
Die Bilder sind inszeniert und selektiv - das Recht, ja die Aufgabe des Künstlers. Hahn darf und soll seine Idee veranschaulichen, den Eindruck manipulieren, eine Impression herstellen, denn er will als Künstler eine Aussage machen. Problematisch wird es nur, wenn der Betrachter der inszenierten Bilder von fernsehenden Kindern annimmt, dass hier gezeigt würde, was das Medium mit den Kindern macht. Es ist eben Kunst was er anschaut und nicht die Wirklichkeit.
G.M.
Nachtrag:
Wer sich die weiteren Bilder genau ansieht, wird in keine hohl-blöden Visagen blicken, sondern in angespannte, traurige, ernste, beinahe ängstliche, auch gelangweilte Kindergesichter, deren Mimik durchaus differenziert und keineswegs uniform ist.
Ein Beitrag zum selben Thema:
http://www.fernsehen.ch/blog/archives/261-Erstarrte-Kinder-vor-dem-Fernseher.html
Den Katalog zur Ausstellung ist im deutschen Kunstverlag erschienen.
Ein Kurzinfo zur Ausstellung von Wolfram Hahn ist hier zu lesen:
http://www.crespo-foundation.de/204.html?&L=0
Nachtrag 2:
Acht Jahre später: Die Süddeutsche Zeitung berichtet ein weiteres Mal über Fotografien fernsehender Kinder. Am 27./28 Juni 2015 veröffentlicht sie fünf Bilder der Fotografin Donna Stevens, die 2013 entstanden. Zwar sitzen die Kinder hier vor einem schwarzen Hintergrund, die Ausleuchtung und die Blickrichtung der Kinder ist etwas anders, aber sowohl die Idee als auch die Bildanmutung sind gleich (wie wohl Michael Neudeckers Kommentar zu den Bildern etwas weniger apokalyptisch ausfällt).
Die drei Bilder, die in der SZ abgedruckt sind, zeigen jeweils Brustbilder eines Buben oder eines Mädchens vor einer grauen Wand. Der Blick der Kinder ist nach vorne unten gerichtet. Das Licht kommt diffus von rechts, erhellt die rechte obere Seite des Hintergrundes und schattiert ihn bis links unten in allen Graustufen ab. Die Gesichter der Kinder sind nicht vom Standort des Fernseher aus beleuchtet, sondern von eben diesem linksseitigen Licht. Sie sitzen wohl auf einem Hocker oder Schemel, denn es ist keine Lehne eines Stuhls oder eines Sofas zu sehen.
Die Behauptung der Ausstellung und des dazugehörigen Kataloges folgt den Thesen Neil Postmans, dass Fernsehen verblödet, den Geist okkupiert, passiv macht und das gesamte persönliche und gesellschaftliche Leben mit einer Unterhaltungserwartung kontaminiert.
Selbst wenn man, wie Seibt, diese Meinung teilt, ändert das nichts daran, dass die Bilder eigentlich etwas anderes zeigen. Nämlich wie ein Erwachsener die Kinder beim Fernsehen sieht. Es ist nicht so, dass die Kleinen "aus der Sicht des Fernseher" fotografiert sind, sondern aus der Sicht des Fotografen, der hinter der Glotze sein Stativ aufgebaut hat: also leicht von oben. Nicht das Medium blickt zurück, sondern der voreingenommene Beobachter schaut auf sein Objekt und nimmt eine Stellung ein, die sein Urteil nur bestätigen kann.
Seibt sorgt sich, welche "Saat" das Fernsehen in die sich noch entwickelnden Hirne sät, spekuliert über vertane Lebenszeit, ist irritiert von der "Stille, die in Hahns Bildern liegt" und gruselt sich vor dem "Antlitz der Zeit", das einen nicht anschaut. Natürlich wird der Betrachter von den Kindern nicht angesehen, denn sie blicken nicht in die Kamera, sondern auf den Bildschirm. Aber auch der Fotograf und mit ihm der Betrachter schauen sie nicht an, sondern auf sie. Und "Stille" liegt über jeder Fotografie, umso mehr sie einen Menschen zeigt, der allein ist und auf etwas anderes konzentriert.
Seibt zeigt sich befremdet von "körperlich erstarrter Zusammengefallenheit, hängender Gesichtsmimik und gebanntem, nichts erwiderndem Blick". Erneut muss man an die Fiktionalität, die Gemachtheit der Bilder erinnern: Von der Sitzgelegenheit, über den grauen Hintergrund, den nach unten gerichteten Blick (offenbar steht der Fernseher auf dem Boden, auf jeden Fall nicht in Augenhöhe), bis hin zum Wesentlichen: dem Programm, das den Jungen und Mädchen gezeigt wird - das alles ist sorgfältig ausgewählt.
Die Bilder sind inszeniert und selektiv - das Recht, ja die Aufgabe des Künstlers. Hahn darf und soll seine Idee veranschaulichen, den Eindruck manipulieren, eine Impression herstellen, denn er will als Künstler eine Aussage machen. Problematisch wird es nur, wenn der Betrachter der inszenierten Bilder von fernsehenden Kindern annimmt, dass hier gezeigt würde, was das Medium mit den Kindern macht. Es ist eben Kunst was er anschaut und nicht die Wirklichkeit.
G.M.
Nachtrag:
Wer sich die weiteren Bilder genau ansieht, wird in keine hohl-blöden Visagen blicken, sondern in angespannte, traurige, ernste, beinahe ängstliche, auch gelangweilte Kindergesichter, deren Mimik durchaus differenziert und keineswegs uniform ist.
Ein Beitrag zum selben Thema:
http://www.fernsehen.ch/blog/archives/261-Erstarrte-Kinder-vor-dem-Fernseher.html
Den Katalog zur Ausstellung ist im deutschen Kunstverlag erschienen.
Ein Kurzinfo zur Ausstellung von Wolfram Hahn ist hier zu lesen:
http://www.crespo-foundation.de/204.html?&L=0
Nachtrag 2:
Acht Jahre später: Die Süddeutsche Zeitung berichtet ein weiteres Mal über Fotografien fernsehender Kinder. Am 27./28 Juni 2015 veröffentlicht sie fünf Bilder der Fotografin Donna Stevens, die 2013 entstanden. Zwar sitzen die Kinder hier vor einem schwarzen Hintergrund, die Ausleuchtung und die Blickrichtung der Kinder ist etwas anders, aber sowohl die Idee als auch die Bildanmutung sind gleich (wie wohl Michael Neudeckers Kommentar zu den Bildern etwas weniger apokalyptisch ausfällt).
schauplatz - 17. Aug, 10:36